Das Abwassermonitoring
Kläranlagen und CoronaAlarmsignale im Abwasser
von Holger Schmidt und Andreas Arnold
Je früher, desto besser
Wissenschaftler des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) arbeiten gemeinsam mit der TU Dresden, der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und einigen Kläranlagenbetreibern daran, ein Frühwarnsystem für Corona zu entwickeln. Ein Mitglied des Teams vom Helmholtz-Zentrum ist der Virologe Dr. René Kallies (Foto: André Künzelmann/UFZ), der im Video erklärt, was hinter dem Projekt Abwassermonitoring steckt.
Was steckt dahinter?
Fundgrube für die Wissenschaft
Den Anstoß zu weltweiten Forschungen in diese Richtung hatte das niederländische Wasserforschungsinstitut KWR gegeben. Wissenschaftler um den Mikrobiologen Gertjan Medema wiesen im März SARS-CoV-2 erstmals bei Messungen an Kläranlagen nach. In Amersfoort fanden sie das Virus sogar im Abwasser, noch bevor es in der Stadt überhaupt einen bestätigten Fall gab.
Noch ein paar Hürden
Einen Einfluss auf das Ergebnis hat beispielsweise, ob das Abwasser von 5.000 oder 500.000 Haushalten in einer Kläranlage ankommt, ob die Wege dorthin kurz oder lang sind und sogar, ob es lange Trockenperioden oder Starkregenfälle gab. Außerdem ist noch unklar, über welchen Zeitraum infizierte Personen das Virus ausscheiden und ob es überhaupt alle infizierten Personen – also auch Menschen ohne Symptome – ausscheiden. Auch stoße die Methode bei zu geringen Fallzahlen an ihre Grenzen: „Wenn wir zum Beispiel nach einer Familienfeier oder bei vielen infizierten Urlaubsrückkehrern einen Ausbruch haben, dann werden wir das relativ schnell im Abwasser sehen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass wir einzelne oder eine Handvoll Corona-Patienten im Abwasser nachweisen. Insofern ist es eine Ergänzung zur Patiententestung.“
Grundsätzlich sieht Kallies das Monitoring aber schon fast bereit für den Ernstfall, wie er im Video veranschaulicht.
Abläufe einspielen
Die Vorarbeit
Wo die Proben herkommen
Grund genug für PRÄVENTION AKTUELL, sich einmal bei einem solchen Betrieb umzusehen. Die Kölner Stadtentwässerungsbetriebe (StEB) gewährten uns Einblicke in die Arbeit des Abwasserinstituts, das am Großklärwerk Stammheim angesiedelt ist. 85 Prozent des Kölner Abwassers kommen dort an. Wie die Zusammenarbeit mit den Forschern des Monitoring-Projekts aussieht, erklärt Institutsleiterin Dr. Andrea Poppe.
Herausforderung Abwasser
Die Klärwerk-Kommissare
Fallen ungewöhnliche Werte auf, ist ihr Team gefragt. Vom Klärwerk verfolgt es den Weg zurück zu den Haupt- und Nebensammlern, bis dann hoffentlich das Grundstück ausfindig gemacht ist, wo das Problem liegt. „Wie der Kommissar seinen Fall aufklärt, muss man versuchen, den Verursacher zu ermitteln“, veranschaulicht Poppe und lobt ihre Mannschaft: „Da denkt die Probenahmetruppe viel mit.“
Auf "Streife" im Mini-Labor
Von einem Corona-Nachweis ist das natürlich noch weit weg. Im Video gibt Krebs Einblicke, wie er sich zu Beginn der Pandemie bei seiner Arbeit fühlte.
Warum das mulmige Gefühl gewichen ist
Der richtige Umgang
Sicherheit geht vor
Wichtig für die Sicherheit im Umgang mit Abwasser ist das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung (PSA). Was den Wissenschaftlern dabei ihre Laborkittel, sind den Probenehmern dabei ihre orangefarbenen Schutzjacken und -hosen. Außerdem komme es noch auf etwas an, das gerade in der Corona-Zeit zur Selbstverständlichkeit geworden ist, wie Andrea Poppe im Video erläutert.
Was schützt?
Die Analyse
Der Schlüssel ist die RNA
Stattdessen werden die Abwasserproben aus Köln und anderen Klärwerken zum Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) nach Leipzig gebracht. Dort wird das Coronavirus mit einem molekularbiologischen Test nachgewiesen, RT-PCR genannt (Foto: André Künzelmann/UFZ). Die Abkürzung steht für „Reverse Transkriptase Polymerase-Kettenreaktion“. Wie bei Abstrichen aus dem Nasen- oder Rachenraum kann durch dieses Verfahren auch im Abwasser das Erbgut des Virus nachgewiesen werden, die Nukleinsäure. Beim Menschen sind die Erbinformationen in der Desoxyribonukleinsäure (DNA) enthalten, beim Coronavirus in der Ribonukleinsäure (RNA). Vereinfacht ausgedrückt: Bei der RT-PCR wird RNA in DNA „umgeschrieben“, die danach vervielfältigt wird, um den Corona-Nachweis führen zu können. Als Referenzwert wird das Virus eines Darmbakteriums herangezogen, das jeder Mensch beim Stuhlgang ausscheidet. Beide Werte werden zueinander ins Verhältnis gesetzt, um den Corona-Anteil zu bestimmen.
Knackpunkt Viruspartikel
Die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums haben hochgerechnet, dass sie Proben aus 900 Klärwerken bräuchten, um 80 Prozent der deutschen Bevölkerung zu erfassen. Wie genau sich die Zahl der Infizierten durch die Abwasserüberwachung beziffern lässt, ist derzeit jedoch noch ein Knackpunkt. „Da zerbrechen wir uns gerade die Köpfe, weil es viele Parameter gibt, die wir gar nicht kennen“, sagt René Kallies (auf dem Bild mit Technikerin Anne Kuchenbuch; Foto: André Künzelmann/UFZ). Es sei ein Unterschied, ob Patienten 10.000 Viruspartikel ausscheiden oder 10 Millionen. „Bei 10 Millionen reicht eine Person. Wenn ich das gerade in der Kläranlage abgreife, dann habe ich einen positiven Befund. Bei 10.000 wird es eng. Das liegt an der unteren Nachweisgrenze“, führt der Virologe aus.
Hilfsmittel für die Politik
Für die Corona-Bekämpfung könnte das Abwassermonitoring also bald hilfreich und wichtig werden. Das Projekt soll aber auch darüber hinaus entscheidende Erkenntnisse liefern, wie René Kallies in seinem Ausblick erklärt.