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Alarmsignale im Abwasser

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Das Abwassermonitoring

Im Abwasser tummeln sich jede Menge Krankheitserreger wie Bakterien und Viren. Für die Bekämpfung der Corona-Pandemie könnte das äußerst nützlich sein. Kläranlagen sollen als Frühwarnsystem eine wichtige Rolle spielen.

von Holger Schmidt und Andreas Arnold
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Covid-19 ist ein tückisches Virus. Denn die Erkrankten sind schon ansteckend, noch bevor sie Symptome zeigen. Getestet werden sie meist erst, wenn schon der Verdacht auf eine Corona-Infektion besteht – wenn das Kind also im Prinzip schon in den Brunnen gefallen ist. Was, wenn man Infektionen schon vorher erkennen könnte?

Wissenschaftler des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) arbeiten gemeinsam mit der TU Dresden, der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und einigen Kläranlagenbetreibern daran, ein Frühwarnsystem für Corona zu entwickeln. Ein Mitglied des Teams vom Helmholtz-Zentrum ist der Virologe Dr. René Kallies (Foto: André Künzelmann/UFZ), der im Video erklärt, was hinter dem Projekt Abwassermonitoring steckt.

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Abwasser enthält eine Menge Informationen, die für Wissenschaftler interessant sind. Dadurch lassen sich Rückschlüsse auf den Durchseuchungsgrad der Bevölkerung, auf den Impfstatus oder sogar auf den Drogenkonsum ziehen. Der Corona-Nachweis im Abwasser war für René Kallies dennoch „ein bisschen überraschend“, weil es ein respiratorisches Virus sei, ein Virus also, das über die Atemwege übertragen wird: „Dass es ausgeschieden wird, ist für Coronaviren schon gezeigt worden. Dass es aber tatsächlich auch im Abwasser detektierbar ist, war nicht unbedingt zu erwarten.“

Den Anstoß zu weltweiten Forschungen in diese Richtung hatte das niederländische Wasserforschungsinstitut KWR gegeben. Wissenschaftler um den Mikrobiologen Gertjan Medema wiesen im März SARS-CoV-2 erstmals bei Messungen an Kläranlagen nach. In Amersfoort fanden sie das Virus sogar im Abwasser, noch bevor es in der Stadt überhaupt einen bestätigten Fall gab. 
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Bei der Entwicklung des Frühwarnsystems sind die Mikrobiologen, Virologen, Modellierer und anderen Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums in Leipzig inzwischen schon recht weit. Ein paar Hürden sind aber noch zu nehmen, bis das Projekt mit dem offiziellen Namen „Integrales SARS-CoV-2-Abwassermonitoring“ wirksam zur Corona-Bekämpfung eingesetzt werden kann. „Zurzeit ist es nur möglich, eine qualitative Aussage zu machen: Wir finden da was oder wir finden eben nichts“, sagt René Kallies (Foto: Sebastian Wiedling/UFZ). 

Einen Einfluss auf das Ergebnis hat beispielsweise, ob das Abwasser von 5.000 oder 500.000 Haushalten in einer Kläranlage ankommt, ob die Wege dorthin kurz oder lang sind und sogar, ob es lange Trockenperioden oder Starkregenfälle gab. Außerdem ist noch unklar, über welchen Zeitraum infizierte Personen das Virus ausscheiden und ob es überhaupt alle infizierten Personen – also auch Menschen ohne Symptome – ausscheiden. Auch stoße die Methode bei zu geringen Fallzahlen an ihre Grenzen: „Wenn wir zum Beispiel nach einer Familienfeier oder bei vielen infizierten Urlaubsrückkehrern einen Ausbruch haben, dann werden wir das relativ schnell im Abwasser sehen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass wir einzelne oder eine Handvoll Corona-Patienten im Abwasser nachweisen. Insofern ist es eine Ergänzung zur Patiententestung.“


Grundsätzlich sieht Kallies das Monitoring aber schon fast bereit für den Ernstfall, wie er im Video veranschaulicht.


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Die Vorarbeit

Damit das Team des Helmholtz-Zentrums überhaupt tätig werden kann, benötigt es die Unterstützung von weiteren Teams – insbesondere von Abwasserbetrieben. Kläranlagen in Leipzig, Dresden, Köln und 20 weiteren Städten stellen die Proben bereit.

Grund genug für PRÄVENTION AKTUELL, sich einmal bei einem solchen Betrieb umzusehen. Die Kölner Stadtentwässerungsbetriebe (StEB) gewährten uns Einblicke in die Arbeit des Abwasserinstituts, das am Großklärwerk Stammheim angesiedelt ist. 85 Prozent des Kölner Abwassers kommen dort an. Wie die Zusammenarbeit mit den Forschern des Monitoring-Projekts aussieht, erklärt Institutsleiterin Dr. Andrea Poppe.

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Mit Nachweisen jenseits von Corona kennen sich die Experten der Kläranlagen bereits bestens aus. Gerade auf die Kompetenz ihres Teams bei der Untersuchung von Abwasser und sonstigen Feststoffen aus Klärwerken und aus der Kanalisation ist Andrea Poppe stolz: „Wir sind da Spezialisten und sehr gut aufgestellt“, sagt die Leiterin des Kölner Abwasserinstituts. „Wir liefern valide Ergebnisse und haben sehr gute Möglichkeiten und Techniken in der Detektivarbeit entwickelt“, unterstreicht Poppe.

Fallen ungewöhnliche Werte auf, ist ihr Team gefragt. Vom Klärwerk verfolgt es den Weg zurück zu den Haupt- und Nebensammlern, bis dann hoffentlich das Grundstück ausfindig gemacht ist, wo das Problem liegt. „Wie der Kommissar seinen Fall aufklärt, muss man versuchen, den Verursacher zu ermitteln“, veranschaulicht Poppe und lobt ihre Mannschaft: „Da denkt die Probenahmetruppe viel mit.“

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Einer der Probenehmer ist Tobias Krebs. Der 27-jährige Laborant geht mit einem modern ausgerüsteten Fahrzeug auf „Streife“. Krebs und seine Mitstreiter können darin die gesammelten Proben nicht nur kühlen und ins Labor bringen, sondern auch selbst kleinere Analysen machen, den pH-Wert, die Temperatur und die Leitfähigkeit des Abwassers messen und die Probe auf freies Chlor untersuchen.

Von einem Corona-Nachweis ist das natürlich noch weit weg. Im Video gibt Krebs Einblicke, wie er sich zu Beginn der Pandemie bei seiner Arbeit fühlte.

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Vorsicht ist selbstverständlich trotzdem im Umgang mit Abwasser geboten, wenn Tobias Krebs Proben nimmt. Meist fährt er dafür Industrieunternehmen an und holt sich die Abwasserproben vor Ort manchmal aus der Kanalisation, manchmal aber auch von Anlageteilen in den Betrieben. Worin aus seiner Sicht das größte Risiko besteht, erfahren Sie nach einem Klick auf den Play-Knopf.

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Besondere Sicherheitsvorkehrungen musste das Kölner Abwasserinstitut wegen Corona nicht treffen. Schließlich sei Abwasser grundsätzlich infektiös. „Man weiß ja nie, was da gerade für Bakterien oder Viren drin sind“, sagt Andrea Poppe, die die Mitarbeiter immer wieder für die Sicherheitsstandards zu sensibilisieren versucht. „Das geht natürlich ein bisschen verloren mit der Zeit. Durch Corona ist das wieder gefördert worden.“

Wichtig für die Sicherheit im Umgang mit Abwasser ist das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung (PSA). Was den Wissenschaftlern dabei ihre Laborkittel, sind den Probenehmern dabei ihre orangefarbenen Schutzjacken und -hosen. Außerdem komme es noch auf etwas an, das gerade in der Corona-Zeit zur Selbstverständlichkeit geworden ist, wie Andrea Poppe im Video erläutert.

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Die Analyse

Im Labor des Kölner Abwasserinstituts, vor vier Jahren neu eröffnet, lässt sich der Corona-Nachweis nicht führen – wie in den meisten Laboren von Kläranlagen. Technisch möglich wäre eine Umrüstung schon. „Das ist nicht so hochspeziell, dass nicht auch ein Umweltlabor wie wir uns einarbeiten könnten“, sagt Andrea Poppe. Konkrete Überlegungen in diese Richtung gibt es aber zurzeit nicht.

Stattdessen werden die Abwasserproben aus Köln und anderen Klärwerken zum Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) nach Leipzig gebracht. Dort wird das Coronavirus mit einem molekularbiologischen Test nachgewiesen, RT-PCR genannt  (Foto: André Künzelmann/UFZ). Die Abkürzung steht für „Reverse Transkriptase Polymerase-Kettenreaktion“. Wie bei Abstrichen aus dem Nasen- oder Rachenraum kann durch dieses Verfahren auch im Abwasser das Erbgut des Virus nachgewiesen werden, die Nukleinsäure. Beim Menschen sind die Erbinformationen in der Desoxyribonukleinsäure (DNA) enthalten, beim Coronavirus in der Ribonukleinsäure (RNA). Vereinfacht ausgedrückt: Bei der RT-PCR wird RNA in DNA „umgeschrieben“, die danach vervielfältigt wird, um den Corona-Nachweis führen zu können. Als Referenzwert wird das Virus eines Darmbakteriums herangezogen, das jeder Mensch beim Stuhlgang ausscheidet. Beide Werte werden zueinander ins Verhältnis gesetzt, um den Corona-Anteil zu bestimmen.

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Bund und Länder haben sich auf strengere Corona-Maßnahmen verständigt für den Fall, dass in einer Region binnen einer Woche mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner erfasst werden. Diese Marke kann im Abwasser inzwischen nachgewiesen werden.

Die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums haben hochgerechnet, dass sie Proben aus 900 Klärwerken bräuchten, um 80 Prozent der deutschen Bevölkerung zu erfassen. Wie genau sich die Zahl der Infizierten durch die Abwasserüberwachung beziffern lässt, ist derzeit jedoch noch ein Knackpunkt. „Da zerbrechen wir uns gerade die Köpfe, weil es viele Parameter gibt, die wir gar nicht kennen“, sagt René Kallies (auf dem Bild mit Technikerin Anne Kuchenbuch; Foto: André Künzelmann/UFZ). Es sei ein Unterschied, ob Patienten 10.000 Viruspartikel ausscheiden oder 10 Millionen. „Bei 10 Millionen reicht eine Person. Wenn ich das gerade in der Kläranlage abgreife, dann habe ich einen positiven Befund. Bei 10.000 wird es eng. Das liegt an der unteren Nachweisgrenze“, führt der Virologe aus.

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Im Herbst soll das Abwassermonitoring bereits zuverlässige Daten liefern. Dann ist es die Sache der Behörden und der Politik, welche Maßnahmen nach einem positiven Befund getroffen werden. Stellt das Helmholtz-Zentrum auffällige Coronawerte in einer Probe fest (Foto: André Künzelmann/UFZ), informiert es die Betreiber der entsprechenden Kläranlage. Die geben das Ergebnis an die Stadt oder den Kreis weiter. Dort wird aufgrund der Datenlage dann entschieden, ob Kontaktsperren verschärft werden müssen oder gar die Verhängung von Quarantänemaßnahmen sinnvoll ist.

Für die Corona-Bekämpfung könnte das Abwassermonitoring also bald hilfreich und wichtig werden. Das Projekt soll aber auch darüber hinaus entscheidende Erkenntnisse liefern, wie René Kallies in seinem Ausblick erklärt.

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