Deeskalation und Gewaltprävention
Deeskalation und GewaltpräventionDie PSA im Umgang mit schwierigen Kunden
von Holger Schmidt
und Dominik Buschardt
Eine Frage der Haltung
Professionelle Freundlichkeit
Bei einem solchen Auftreten sei die Chance groß, kritische Situationen zu deeskalieren oder gar nicht erst in solche Situationen zu geraten. Allerdings könne man den „Faktor Bürger“ nicht beeinflussen. Und in manchen Fällen misslingt der Versuch einer Deeskalation.
Manchmal knallt's
Beim „Nein“ wird’s gefährlich
Gefährlich kann es immer dann werden, wenn die Beschäftigten ein Anliegen ablehnen müssen. „Das Nein hat eine Schlüsselfunktion“, weiß Volker Haupt. „Dadurch können Situationen schlagartig eskalieren. Darauf bereiten wir die Menschen in den Seminaren vor: Nur weil jemand freundlich ist, heißt das noch lange nicht, dass die Situation nicht gefährlich werden kann.“
Beleidigungen und Beschimpfungen sind dabei das eine. Das andere sind körperliche Übergriffe, die die nächste Eskalationsstufe darstellen und vorkommen können. Auch das liegt an der Distanz, allerdings nicht an der sozialen, sondern an der räumlichen Distanz.
Angriffe zum Kopf
Selbstschutz
Deshalb vermittelt Haupt einfache Techniken, die alle anwenden können. Sportaffine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich damit genauso vor Angriffen schützen können wie diejenigen, die körperlich vielleicht nicht so fit sind.
Wie das bei Schlägen zum Kopf aussieht, zeigt der Anti-Gewalt-Trainer im Video. Den Angreifer spielt Robin Geidel, der Haupt beim Deeskalationstraining assistiert. Der 27-Jährige arbeitet seit 2016 bei der Aachener Berufsfeuerwehr und befindet sich im dritten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Notfallsanitäter.
Der "Haubenblock"
Abgewehrt! Und dann?
Denn letztlich geht es immer um eine Sache...
Raus aus der Situation!
Vier Bausteine
Die Bausteine sind Gefahrenbewertung, Präventionsmaßnahmen, besagte Deeskalation sowie die Nachsorge. Katrin Päßler, leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der Stadt Aachen, bringt diese vier Bausteine folgendermaßen auf den Punkt (Klick auf Play-Button).
Vier Gefährdungsstufen
Es entstand, nachdem im Jahr 2007 eine Frau zwei Angestellte des Aachener Jobcenters mit einer Luftdruckpistole bedroht und als Geiseln genommen hatte. Die Geiselnahme wurde nach zwei Stunden zwar unblutig beendet, niemand wurde verletzt. Aber der Schock wirkte nach.
„Das ‚Aachener Modell‘ entstand also tatsächlich aus einer ganz konkreten Bedrohungssituation heraus, mit der niemand gerechnet hatte“, sagt Katrin Päßler, die damals noch für die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen arbeitete und auf Initiative des Jobcenter-Leiters zusammen mit Präventionsexperten der Polizei an der Entwicklung des Modells mitwirkte. Das Modell beschreibt vier Gefährdungsstufen von 0 bis 3, wobei die rote Stufe nur die absoluten Ausnahmefälle wie Amokläufe und Geiselnahmen umfasst. Den anderen Stufen grün, gelb und orange hat die Stadt Aachen die verschiedenen Arbeitsplätze zugeordnet.
Wer ist gefährdet?
Das TOP-Prinzip
Welche Maßnahmen die Stadt Aachen zur Sicherheit ihrer 5.600 Beschäftigten ergreift, hängt von der jeweiligen Tätigkeit ab. Analog zum Arbeitsschutz folgt auch das Aachener „Sicherheitskonzept Gewaltprävention“ dabei dem TOP-Prinzip, stellt also technische vor organisatorische vor personenbezogene Maßnahmen.
Technisch könnte das eine gefahrenbewusste Büroeinrichtung sein, bei der die Beschäftigten im Kundengespräch immer den kürzesten (Flucht-)Weg zur Ausgangstür haben. Organisatorisch könnte das die Arbeit mit festen Terminvergaben sein, die die Wartezeiten für Kunden reduziert und damit zur Deeskalation beiträgt.
Warum die personenbezogenen Maßnahmen so wichtig sind, erklärt Katrin Päßler (Klick auf Play-Button).
Rolle der Führungskraft
- Sie müssen dafür sorgen, dass die in der Gefährdungsbeurteilung festgelegten Maßnahmen in der Praxis auch umgesetzt werden.
- Sie geben ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Rückendeckung, indem sie bei schwierigen, möglicherweise eskalierenden Gesprächen dabei sind oder hinzu geholt werden.
- Sie haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten. Falls es doch zu einem gewalttätigen Übergriff gekommen ist, organisieren sie Unterstützung – beispielsweise die psychologische Betreuung.
Verantwortung der Beschäftigten
Konkrete Fallbeispiele
Der Trainer selbst versucht, möglichst viel über die unterschiedlichen Berufe und Arbeitsplätze in Erfahrung zu bringen, um die Seminare bestmöglich auf die jeweiligen Bedürfnisse zuschneiden zu können. Dann schlüpft er auch schon mal in die Rolle des Betrunkenen, auf den die Rettungssanitäter deeskalierend einwirken müssen.
"Ich will es nachfühlen können"
Was sich durch Corona geändert hat
Positiv: Die Stadtverwaltung Aachen arbeitet verstärkt mit Terminvergaben. Für Bürgerinnen und Bürger haben sich dadurch die Wartezeiten bei Behördengängen verkürzt. Kürzere Wartezeiten bedeuten weniger Ungeduld und weniger aggressives Verhalten. „Wir haben schon Signale bekommen, dass die Beschäftigten in Zukunft gerne weiter mit Terminvergaben arbeiten würden“, sagt Katrin Päßler.
Negativ: Insbesondere die Beschäftigten im Außendienst werden wegen Corona in mehr Diskussionen verwickelt, auch wenn diese natürlich nicht immer entgleisen. Das gilt etwa für Politessen oder für den Ordnungs- und Sicherheitsdienst, der die Einhaltung der Coronamaßnahmen kontrolliert. „Wir bekommen die Rückmeldung: Bei vielen Menschen wird die Zündschnur immer kürzer, der Ton wird rauer“, sagt Päßler.
„Manche Bürger kommen einem sehr nah“, weiß Volker Haupt, „weil sie vielleicht erklären möchten, warum sie gerade jetzt den Parkschein nicht ziehen konnten.“ Die Pandemie könne man sich dann sogar zunutze machen, um eine Situation zu deeskalieren und Distanz herzustellen, ohne dem Gegenüber verbal auf die Füße zu treten. (Klick auf Play-Button)
Nachahmer gesucht
Als Orientierung und Vorbild kann das „Sicherheitskonzept Gewaltprävention“ nach dem Aachener Modell dienen. Einfach und schnell funktioniere die Umsetzung zwar nicht, sagt Katrin Päßler. Aber der Aufwand – auch der finanzielle – lohne sich, wie die leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit in ihrem Fazit betont.