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Dem Leichtsinn auf der Spur

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Die erste Baustelle

Die Arbeit auf Baustellen ist gefährlich. Erst recht, wenn Absturzsicherungen Mängel aufweisen, Geräte als Stolperfallen herumliegen oder die benutzte Kreissäge eigentlich schon längst auf den Schrottplatz gehört. Das und mehr findet Aufsichtsperson Christian Haardt von der BG BAU auf Baustellen vor. PRÄVENTION AKTUELL durfte ihn einen Tag lang bei seinen Kontrollbesuchen begleiten.


von Holger Schmidt
und Andreas Arnold

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Schon aus der Ferne hatte die Baustelle im hessischen Biebertal einen guten Eindruck gemacht. Nach dem Gespräch mit Bauleiterin Patricia Nagel und Polier Antonio Amore vom Bauunternehmen Züblin verschafft sich Christian Haardt einen genauen Überblick.

Der gute erste Eindruck bestätigt sich auch bei näherem Hinsehen: Die Verkehrswege sind frei und ausgewiesen, die Materialien liegen akkurat an ihrem Platz. Die Arbeiter, die unter dem Kran mit dem Beton das Fundament gießen, tragen Helme. Am Eingang, gegenüber den Containern mit Büros und medizinischer Versorgung, steht ein Schild „Unsere Baustelle ist seit 49 Tagen ohne Unfall“. Was gleichbedeutend ist mit: seit Baubeginn. Und das soll auch bis zum Ende so bleiben.

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Patricia Nagel (Foto) ist zwar überrascht vom unerwarteten Kontrollbesuch, aber nicht überrumpelt. „Wir haben überwiegend positive Erfahrungen mit den Aufsichtspersonen gemacht“, sagt die Bauleiterin. „Was den Arbeitsschutz angeht, sind wir selbstkritisch und hinterfragen uns ohnehin immer.“ Der Blick von außen könne zusätzlich helfen.

Viel zu bemängeln hat Christian Haardt ohnehin nicht. Die Ordnung, klare Struktur und Lagerung der Materialien imponieren ihm sogar, das sei längst nicht überall so. Zwei handfeste Gründe sprechen dafür, erklärt Nagel: „Erstens passieren weniger Arbeitsunfälle. Zweitens ist die Produktivität höher, weil die Mitarbeiter nicht ständig nach Sachen suchen müssen.“

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Der Besprechungsraum ist für die Aufsichtsperson ein weiteres positives Beispiel. Zum einen, weil für das rumänische Subunternehmen die aufgehängten Organisationspläne des Baufelds, die Sicherheitshinweise und die Plakate zum Arbeits- und Gesundheitsschutz auf Deutsch und Rumänisch nachzulesen sind. Den anderen Grund erklärt Haardt im O-Ton (Play-Button drücken).

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Weniger vorbildlich, aber das ist auch Haardts Hauptkritikpunkt, ist die Arbeitskleidung von Bauleiterin und Polier. Beide tragen T-Shirts, Patricia Nagel eine kurze Hose. So verständlich das bei 31 Grad bereits um 10 Uhr morgens auch sein mag – die Aufsichtsperson verweist auf die Vorbildfunktion.

Denn das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) beugt Unfallverletzungen und Berufskrankheiten vor. Langärmelige Kleidung und lange Hosen gehören dazu. Zumal es auf Baustellen im Sommer einen erbarmungslosen „Feind“ gibt, der immer bedrohlicher wird: die Sonne.

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Wenn die Wände der Feuerwehrfahrzeughalle in ein paar Wochen stehen, wird Christian Haardt erneut zur Kontrolle vorbeischauen. Nach 20 Jahren als Aufsichtsperson hat er bei dieser Baustelle in Biebertal ein gutes Gefühl: „Die Firma Züblin hat erkannt, dass Arbeitsschutz gleichrangig zu anderen Unternehmenszielen stehen muss.“ Sein Zwischenfazit (Play-Button drücken):

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Die zweite Baustelle

Bei der zweiten Baustelle des Tages zeigt sich, dass Vertrauen zwar gut, Kontrolle aber besser ist. Hier in Gießen sind die Arbeiten schon weiter vorangeschritten als in Biebertal. Zumindest lässt sich das Gebäude des geplanten Autohauses schon erahnen.

Bauleiter und Polier geben sich angesichts des Überraschungsbesuchers entspannt. Das ändert sich bald, denn ein paar Dinge fallen Haardt sofort auf. Zum Beispiel wieder der UV-Schutz, ein Beschäftigter arbeitet auf dem Dach gar mit freiem Oberkörper in der prallen Sonne.

Da ist aber auch die Absturzsicherung. An der Außenseite des Gebäudes gibt es nichts zu beanstanden. „Das passt“, lobt Haardt, bevor er zum Hauptkritikpunkt kommt: Die Sicherung nach innen, wo die Arbeiter durchs Treppenloch mehr als zwei Meter hinabstürzen könnten, weist Mängel auf.

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Wären die Mängel so gravierend, dass Gefahr für Leib und Leben besteht, könnte Christian Haardt die Arbeiten direkt einstellen lassen. „Sofortvollziehbare Anordnung“ heißt das im Fachjargon. Der Polier aber zeigt sich einsichtig, verspricht sofortige Nachbesserungen an der Absturzsicherung. Haardt kann von harten Sanktionen absehen.

Anders sieht das bei einem wichtigen Arbeitsgerät aus. „Ist das eure Baustellenkreissäge?“, will Haardt wissen. Als der Polier bejaht, lässt die Reaktion der Aufsichtsperson nichts Gutes erahnen: „Oh, oh …“ Denn …

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Mit dieser Kreissäge wird jedenfalls nicht mehr gearbeitet, dafür sorgt Haardt. Außerdem kündigt er dem Polier gegenüber an, „einen freundlichen Bericht“ an dessen Bauunternehmen zu schreiben, die Gefährdungsbeurteilung für die Baustelle anzufordern und die Betriebsanweisung für die Kreissäge einsehen zu wollen.

„Ganz so ungelegen“, verrät Haardt nach dem Verlassen der Baustelle, „kommt vielen Polieren mein Besuch gar nicht.“ Denn viele würden schon wissen, dass der Arbeitsschutz nicht den Vorschriften entspreche. Ein Bericht der Aufsichtsperson an das jeweilige Unternehmen könne den Druck erhöhen, ausreichendes und sicheres Arbeitsmaterial zur Verfügung zu stellen und sich um den Arbeitsschutz zu kümmern.

Mit einem Besichtigungsbericht will Haardt den Verantwortlichen einen Denkanstoß geben. Denn: „Ein Arbeitsunfall ist für ein Unternehmen ein wirtschaftlicher Totalschaden.“ Außerdem komme dann nicht nur die BG und stelle Fragen zum Unfallhergang. Regierungspräsidium und Polizei würden sich einschalten, bei schweren Unfällen ermittle die Staatsanwaltschaft.

Die meisten Firmen und die Bauarbeiter vor Ort zeigen sich einsichtig. Aber was, wenn nicht?

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Die BG BAU verzeichnete im Jahr 2020 laut eigenen Angaben insgesamt 131.014 Fälle von meldepflichtigen Arbeitsunfällen (103.970) und Wegeunfällen (7.723) sowie von Anzeigen auf Verdacht von Berufskrankheiten (15.821).

Die am häufigsten angezeigten Berufskrankheiten waren weißer Hautkrebs (2.768), Lärmschwerhörigkeit (2.686) und Lungenkrebs im Zusammenhang mit Asbest (1.411).

Die Zahl der Arbeitsunfälle pro 1.000 Vollarbeiter hat sich in den vergangenen 25 Jahren zwar mehr als halbiert. Die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle hat in den vergangenen Jahren aber wieder zugenommen. 2020 kamen 97 Arbeiter bei Arbeitsunfällen ums Leben.
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Die dritte Baustelle

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In Heuchelheim entsteht ein neues Seniorenzentrum. An dieser dritten Baustelle des Tages hat Christian Haardt ein Treffen mit Andreas List (Foto) vereinbart. Er ist als Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) für das Gießener Bauunternehmen „Faber & Schnepp“ tätig und berät derzeit etwa 30 Baustellen parallel. Die Zusammenarbeit mit der BG BAU sei von gegenseitigem Respekt geprägt, wie List im O-Ton sagt.

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Mit den vielen Absturzsicherungen sammelt „Faber & Schnepp“ bei Christian Haardt Pluspunkte. Nur an einer Stelle muss mit Brettern nachgebessert werden, um die Absturzgefahr zu minimieren. Kleinigkeit. Auch die eingesetzten Geräte und Hilfsmittel überzeugen.

Lob für gibt es etwa für die Leitern und Tritte. Besonders die elektronischen Arbeitsbühnen hebt Haardt hervor. „Sie lassen sich ergonomisch auf die jeweilige Arbeitshöhe einstellen“, sagt die Aufsichtsperson. „Und sie haben gegenüber Leitern den Vorteil, dass sie einen Seitenschutz bieten.“ Denn die Leiter sei das gefährlichste Arbeitsmittel im Baubereich – jeder zweite Absturz sei ein Leiterunfall.

Dann entdeckt Haardt noch etwas, was ihm missfällt. Erdarbeiten vor einer Baustellentreppe, an der 27 Arbeiter ständig hin und her wuseln.

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Damit endet der Kontrollbesuch. Christian Haardt wird aber wiederkommen. Einerseits zum Kontrollieren. Andererseits zum Beraten. Damit die Baustellen sicherer werden.

Zum Abschluss verrät er, warum ihm sein Beruf als Aufsichtsperson so gut gefällt.

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